es war zeugnistag und wir durften bereits um elf uhr nach hause gehen. ich war neun jahre alt und hatte meine ersten richtigen noten bekommen. in sachkunde und deutsch hatte ich eine eins, in musik und sport eine drei, sonst nur zweien. meine mutter war unheimlich stolz auf mich und zur belohnung ließ sie mich zum spielen zu meinem besten freund henning fahren. henning ging mit mir in eine klasse. seine noten waren wesentlich schlechter als meine, aber seine eltern scherten sich wenig darum. er durfte trotzdem draußen spielen. der sommer vor zehn jahren war heiß und staubig.
henning und ich fuhren in den wald. der upjeversche forst lag am ortsrand und wir fuhren mit dem fahrrad. ich beneidete henning um sein schnittiges mountainbike. es war grün wie der mittwoch, an dem es passierte. wir waren schon oft im wald gewesen, hatten vergilbte pornoheftchen gefunden, blumensträuße für unsere mütter gepflückt oder uns höhlen gebaut. an diesem tag wollten wir einen spielplatz suchen, von dem einige unserer freunde erzählt haben. er läge mitten im forst upjever, noch hinter der großen wiese, auf der die mohnblumen wachsen. es war kurz nach zwei am 19. juli 1996, als wir in den wald fuhren. vor uns lagen tausende bäume und sechs wochen sommerferien. ich fuhr vorneweg, henning folgte mir. den weg bis zur mohnwiese kannte ich auswendig. ich redete ununterbrochen, es sprudelte förmlich aus mir heraus. dutzende eindrücke vom zeugnistag. dass vitali, der schweigsame russlanddeutsche, sitzenblieb. dass rebecca tatsächlich eine eins in schönschrift bekommen hatte, wobei sie doch sonst nichts kann. dass wir im nächsten jahr viertklässler sein würden und damit die unangefochtenen herrscher über den schulhof. am abend wollte ich alles fein säuberlich in mein tagebuch eintragen. die eins in deutsch zum beispiel, damit hatte ich gerechnet. beim vorlesen war ich klassenbester. und die drei in musik, da war ich mir sicher, hatte ich nur bekommen, weil rebecca blockflöte spielen kann und ich nicht. dafür kann sie sonst nichts. das werde ich aufschreiben. es ist so viel passiert. als mir auffiel, dass henning schon längere zeit schwieg, drehte ich mich um. er war weg. das war mir nun doch etwas zu viel der theatralik.
war ich zu schnell gefahren? war er mit dem fahrrad hingefallen und ich hatte es nicht bemerkt? ich machte mir vorwürfe. die große wiese lag schon länger zurück und eigentlich wusste ich nicht mehr genau, wo ich war. um mich herum standen ausschließlich hohe nadelbäume, die kaum sonnenlicht durchließen. das unterholz war abseits der wege dicht. ich fuhr wieder zurück, suchte henning, fand ihn nicht. plötzlich kam mir nichts mehr bekannt vor, jeder baum sah aus wie der andere. überall war es grün wie die mittwoche in meinem tagebuch. ich irrte durch den wald, dachte an das märchen von hänsel und gretel, das ich früher so gerne mochte. ich fand weder das lebkuchenhaus, noch den berüchtigten spielplatz oder einen weg aus dem wald heraus. ich dachte an meine eltern, die sich bestimmt sorgen machten. ich dachte an henning und verfluchte ihn. dass er ein mieser feigling sei, das wollte ich am selben abend noch in mein tagebuch schreiben. stundenlang fuhr ich ziellos durch den wald, gelangte auf reiterwege mit weichem sand, auf denen ich mein rad bloß schieben konnte. bei einsetzender dämmerung lehnte ich mich an einen baum und heulte. ich hatte angst im wald übernachten zu müssen, bei den wilden tieren. ich flennte und wimmerte stundenlang, mich hörte ja doch keiner. ich dachte an das herbarium, das ich für den biologieunterricht angefertigt hatte. ich wusste nun also immerhin, dass ich unter einer kiefer sitze. ich dachte an fräulein maria von jever, die den wald im sechzehnten jahrhundert hat anpflanzen lassen. das habe ich im heimatkundeunterricht gelernt. die war also irgendwie auch ein bisschen dran schuld, dass ich mich verlaufen habe. herzlichen dank, maria. dank meines physikunterrichts konnte ich die himmelsrichtungen bestimmen. ich wusste nur dummerweise nicht, in welcher himmelsrichtung mein zuhause war. dann besann ich mich auf das positive und fertigte im kopf eine liste mit kindern an, die im wald überlebt haben:
mowgli
hänsel und gretel
tarzan
nell
ronja räubertochter
die aussichtslosigkeit der situation relativierte sich ein wenig und ich fasste einen plan. ich wollte, egal welche hürden sich mir in den weg stellten, immer nur in eine richtung fahren. irgendwo würde der wald schon aufhören. er hörte tatsächlich auf, einige stunden später in reepsholt. hatte von dem nest noch nie gehört, aber ich war ja schließlich auch erst neun jahre alt. meine welt war noch ausgesprochen klein. ich folgte den schildern und kam schließlich gegen mitternacht in schortens an. kurz hatte ich angst, dass ich ärger von meinen eltern bekommen würde, weil ich so spät schon längst im bett hätte liegen müssen. aber meine mutter schloss mich in die arme und heulte mehr, als ich es den ganzen tag über getan hatte. ich schwor mir und ihr, nie wieder einen wald zu betreten. in mein tagebuch trug ich zusätzlich ein, dass ich henning am ersten tag nach den ferien ordentlich eine zimmern würde.
henning und ich fuhren in den wald. der upjeversche forst lag am ortsrand und wir fuhren mit dem fahrrad. ich beneidete henning um sein schnittiges mountainbike. es war grün wie der mittwoch, an dem es passierte. wir waren schon oft im wald gewesen, hatten vergilbte pornoheftchen gefunden, blumensträuße für unsere mütter gepflückt oder uns höhlen gebaut. an diesem tag wollten wir einen spielplatz suchen, von dem einige unserer freunde erzählt haben. er läge mitten im forst upjever, noch hinter der großen wiese, auf der die mohnblumen wachsen. es war kurz nach zwei am 19. juli 1996, als wir in den wald fuhren. vor uns lagen tausende bäume und sechs wochen sommerferien. ich fuhr vorneweg, henning folgte mir. den weg bis zur mohnwiese kannte ich auswendig. ich redete ununterbrochen, es sprudelte förmlich aus mir heraus. dutzende eindrücke vom zeugnistag. dass vitali, der schweigsame russlanddeutsche, sitzenblieb. dass rebecca tatsächlich eine eins in schönschrift bekommen hatte, wobei sie doch sonst nichts kann. dass wir im nächsten jahr viertklässler sein würden und damit die unangefochtenen herrscher über den schulhof. am abend wollte ich alles fein säuberlich in mein tagebuch eintragen. die eins in deutsch zum beispiel, damit hatte ich gerechnet. beim vorlesen war ich klassenbester. und die drei in musik, da war ich mir sicher, hatte ich nur bekommen, weil rebecca blockflöte spielen kann und ich nicht. dafür kann sie sonst nichts. das werde ich aufschreiben. es ist so viel passiert. als mir auffiel, dass henning schon längere zeit schwieg, drehte ich mich um. er war weg. das war mir nun doch etwas zu viel der theatralik.
war ich zu schnell gefahren? war er mit dem fahrrad hingefallen und ich hatte es nicht bemerkt? ich machte mir vorwürfe. die große wiese lag schon länger zurück und eigentlich wusste ich nicht mehr genau, wo ich war. um mich herum standen ausschließlich hohe nadelbäume, die kaum sonnenlicht durchließen. das unterholz war abseits der wege dicht. ich fuhr wieder zurück, suchte henning, fand ihn nicht. plötzlich kam mir nichts mehr bekannt vor, jeder baum sah aus wie der andere. überall war es grün wie die mittwoche in meinem tagebuch. ich irrte durch den wald, dachte an das märchen von hänsel und gretel, das ich früher so gerne mochte. ich fand weder das lebkuchenhaus, noch den berüchtigten spielplatz oder einen weg aus dem wald heraus. ich dachte an meine eltern, die sich bestimmt sorgen machten. ich dachte an henning und verfluchte ihn. dass er ein mieser feigling sei, das wollte ich am selben abend noch in mein tagebuch schreiben. stundenlang fuhr ich ziellos durch den wald, gelangte auf reiterwege mit weichem sand, auf denen ich mein rad bloß schieben konnte. bei einsetzender dämmerung lehnte ich mich an einen baum und heulte. ich hatte angst im wald übernachten zu müssen, bei den wilden tieren. ich flennte und wimmerte stundenlang, mich hörte ja doch keiner. ich dachte an das herbarium, das ich für den biologieunterricht angefertigt hatte. ich wusste nun also immerhin, dass ich unter einer kiefer sitze. ich dachte an fräulein maria von jever, die den wald im sechzehnten jahrhundert hat anpflanzen lassen. das habe ich im heimatkundeunterricht gelernt. die war also irgendwie auch ein bisschen dran schuld, dass ich mich verlaufen habe. herzlichen dank, maria. dank meines physikunterrichts konnte ich die himmelsrichtungen bestimmen. ich wusste nur dummerweise nicht, in welcher himmelsrichtung mein zuhause war. dann besann ich mich auf das positive und fertigte im kopf eine liste mit kindern an, die im wald überlebt haben:
mowgli
hänsel und gretel
tarzan
nell
ronja räubertochter
die aussichtslosigkeit der situation relativierte sich ein wenig und ich fasste einen plan. ich wollte, egal welche hürden sich mir in den weg stellten, immer nur in eine richtung fahren. irgendwo würde der wald schon aufhören. er hörte tatsächlich auf, einige stunden später in reepsholt. hatte von dem nest noch nie gehört, aber ich war ja schließlich auch erst neun jahre alt. meine welt war noch ausgesprochen klein. ich folgte den schildern und kam schließlich gegen mitternacht in schortens an. kurz hatte ich angst, dass ich ärger von meinen eltern bekommen würde, weil ich so spät schon längst im bett hätte liegen müssen. aber meine mutter schloss mich in die arme und heulte mehr, als ich es den ganzen tag über getan hatte. ich schwor mir und ihr, nie wieder einen wald zu betreten. in mein tagebuch trug ich zusätzlich ein, dass ich henning am ersten tag nach den ferien ordentlich eine zimmern würde.