[vorhang auf. ilse, eine betagte schortenserin, sitzt auf der bank vor ihrem haus und schaut auf ihren kleinen garten. zahid ist ein junger syrischer flüchtling, der seit kurzem im nachbarhaus wohnt. sie begegnen sich zum ersten mal auf dem bürgersteig vor ilses haus, als zahid gerade vorbeiläuft und sein blick an dem blumenbeet hängen bleibt. es ist nachmittag.]
ilse: de tulpen blöht düt johr aver ok to un to schöön, ne? zahid: tulpen sind meine lieblingsblumen. ich habe sogar meine tochter nach der tulpe benannt: lale. ilse: se hebbt kinner? zahid: einen sohn und eine tochter. ich weiß allerdings nicht, wo sie gerade sind. ilse: aver wat is dat för en vadder, de nich weet, wo sien kinner sünd? vermisst se de gor nich? | ilse: die tulpen blühen dieses jahr besonders schön, nicht? .زهيد: الخزامي هو نوعي المفضل من النبات. سميت ابنتي إسماً مطابقاً للخزامي. اسمها: لاله ilse: sie haben kinder? زهيد: لدي إبنٌ و إبنة. لا أعرف أين هما الأن ilse: aber was für ein vater weiß denn nicht, wo seine kinder sind? vermissen sie sie etwa nicht? |
[zahid schaut betroffen zu boden]
zahid: sehr sogar. ilse: na denn. wi schullen an düssen fröhjohrsdag wat anners doon as sabbeln un dibbern. | زهيد: اشتاق اليهما كثيراً ilse: nun ja. lassen sie uns diesen frühlingstag nicht mit sinnlosem geschwätz verplempern. |
[ilse dreht sich zum gehen.]
ilse: ik wünsch se noch... zahid: ich musste mein land verlassen und konnte sie nicht mitnehmen. wir hatten nicht genug geld. | ilse: ich wünsche ihnen noch… زهيد: لكن كان علي أن اغادر بلادي ولم أقدر على أخذهم معي. لم يكن لدي مال كافي |
[ilse ist nun ebenfalls ganz betroffen.]
ilse: se sünd also flücht, so, so. denn hebbt se wiss en lange reis achter sik. zahid: von hamidiya bis heidmühle sind es 3904 kilometer. ilse: hamidiya... hamidya... dat höört sik so an, as weer dat de orientaalsche süster vun heidmöhl, oder wat? | ilse: sie sind also geflüchtet, so, so. dann haben sie sicher einen langen weg hinter sich. زهيد: من الحامدية إلى هَيدمٌله : ٣٩٠٤ كيلومتراً من المسافة ilse: hamidiya… hamidiya… das klingt, als sei es die orientalische schwester von heidmühle, oder nicht? |
[ilse ist nun wieder sichtlich fröhlicher.]
ilse: na, is teetiet. möögt se tee? kaamt se doch rin un drinkt se en tass tee mit mi! ja, ik heet ilse. | ilse: nun ja, es ist teezeit. mögen sie tee? kommen sie doch herein und trinken sie eine tasse mit mir! ich bin übrigens ilse. |
[sie reicht ihm die hand. beide gehen ins haus.]
zahid: sehr gerne! mir hat schon lange niemand mehr eine tasse tee angeboten. ich heiße übrigens zahid und wohne in dem haus nebenan. vor einer woche angekommen. | زهيد: شكراً جزيلاً. لم يقدم إلي أحدٌ كاساً من الشاي منذ زمنٍ طويل. أنا إسمي زهيد وأعيش في البيت المجاورة. لقد وصلت منذ أسبوع واحد |
[ilse kocht wasser, kippt es in eine porzellankanne und kippt es dann wieder aus. dann streut sie sieben löffel tee in die kanne. zahid schaut interessiert zu.]
ilse: ach, se sünd also de nee’e naver! dat in de rotte hütt överhaupt noch een wahnen will, is en glück. weer siet johr un dag leddig. zahid: wir wohnen dort zu viert, alles männer. ich habe ein eigenes zimmer und es gibt einen garten. manchmal schäme ich mich dafür, wie viel glück ich hatte. ich hoffe, dass meine frau und kinder bald auch kommen können. der letzte brief ist schon so lange her. ich habe ihnen geschrieben, wie grün der boden hier ist. und die ruhe. es ist so ruhig hier. | ilse: ach, sie sind also der neue nachbar! dass in der heruntergekommenen hütte überhaupt noch jemand wohnen will, ist ein glück. stand seit jahren leer. زهيد: نعيش أربعة في هذه الشقة. كلنا رجال. لدي غرفتي الخاصة ولدينا أيضاً حديقة صغيرة. أشعر بالحرج أحيانا لكل هذا الحظ الذي حظيت به. أرجو أن زوجتي وأولادي سيتمكنون من القدوم إلي قريباً. ارسلت اليهم رسالة منذ زمنٍ طويل. و كتبت اليهم كم هي خضراء الأرض هنا. وكم هو هادئ المكان هنا. هادئ جداً |
[ilse füllt unterdessen die porzellankanne zur hälfte mit kochendem wasser, stellt tassen, untertassen, kandisdose, sahnekännchen und teestövchen auf den tisch und setzt sich zu zahid.]
ilse: ja, krieg is gräsig, gries un luut. un ok wenn he mal liesen is, maakt he di bang. zahid: sie kennen krieg? ilse: ik weer hier in heidmöhl, as krieg weer. mien mann, ik heff em later heiraadt, weer ok mal op de flucht, mööt se weten. in den winter veerunveertig fiefunveertig is he vör de russen ut schlesien flücht. | ilse: ja. krieg ist hässlich, grau und laut. und selbst wenn er mal leise ist, macht er dir angst. زهيد: هل عرفت الحرب؟ ilse: ich war hier in heidmühle, als krieg war. mein späterer mann war auch mal auf der flucht, wissen Sie. im winter vierundvierzig fünfundvierzig ist er vor den russen aus schlesien geflüchtet. |
[ilse legt erst einen kluntje in zahids tasse und einen weiteren in ihre eigene tasse. dann schüttet sie den schwarzen tee ein.]
zahid: oh. das wusste ich nicht. | زهيد: اه لم أكن أعرف هذا |
[er macht eine pause.]
zahid: die steine knistern. | زهيد: هذه الحجار تفرقع |
[ilse schöpft mit dem sahnelöffel sahne in ihre tasse. es bilden sich die typischen wölkchen. zahid rührt unterdessen mit dem kleinen silberlöffel in der tasse herum und nimmt einen schluck.]
ilse: ja, dat is so teemlich dat eenzigste, wat man hier hören kann. dat brusen vun de see, de ewige regen un dat knistern vun de kluntjes. all poor maand wickelt sik een sprüttenduun op de landstraat üm en boom. blots denn ballert dat mal richtig. zahid: wie alt waren sie? ich meine damals, als in deutschland krieg war? | ilse: ja, das sind so ziemlich die einzigen geräusche hier. das rauschen der see, der unaufhörlich prasselnde regen und das knistern von kandis. alle paar monate wickelt sich ein betrunkener auf der landstraße um einen baum. nur dann knallt’s mal richtig. زهيد: كم كان عمرك؟ أعني حين كانت ألمانيا في الحرب؟ |
[ilse nimmt vorsichtig einen kleinen schluck tee. die sahnewölkchen sind inzwischen verschwunden.]
ilse: jüst föffteihn. keen goot öller för en fro, wenn överall suldaten marscheert. | ilse: gerade fünfzehn. kein gutes alter für frauen, wenn überall soldaten marschieren. |
[eine sekunde später setzt ilse schnell ihre tasse ab und legt zahid besorgt eine hand auf den oberschenkel.]
ilse: oh, deit mi leed. ik wull se nich bang maken. zahid: lale ist erst fünf. ich mache mir eher sorgen um meine frau. | ilse: oh, entschuldigen sie! ich wollte sie wirklich nicht beunruhigen. زهيد: لاله عمرها خمسة سنين فقط. يجب علي أن أقلق على زوجتي |
[er macht eine pause.]
zahid: inzwischen haben sie es über die libanesische grenze geschafft, allah sei dank. dort habe ich das letzte mal von ihnen gehört. das ist nun vier wochen her. | .زهيد: لقد تمكنوا على تخطي الحدود اللبنانية. الحمدلله. هذا ما سمعت منهم منذ أربعة اسابيع |
[zahids tasse ist inzwischen leer. ilse schüttet ungefragt tee nach.]
ilse: woans sünd se hier herkamen? zahid: meine frau und ich haben monatelang für meine flucht gespart und geplant. in meinem dorf haben wir einen kleinen laden gehabt, stoffe, tücher, schals, solche sachen. ich habe einen schlepper kontaktiert. jeder kennt jemanden, der so etwas organisiert, da braucht man nicht lange herumzufragen. ilse: dröff ik se en kokje to den tee anbeden? | ilse: wie sind sie hier her gekommen? زهيد: زوجة وأنا قد ادخرنا المال لكي استطيع على القدوم هنا. كان لدينا في ضيعتي، محلٌ صغير نبيع فيه قماشا وشلات وأشياءً مماثلة. اتصلت بالمهرب. الكل يعلمون الشخص الذي يستطيع على القيام بشيءٍ من هذا القبيل. لست مضطراً على البحث مطولاً ilse: darf ich ihnen einen keks zum tee anbieten? |
[ilse greift nach einer kekstrommel, die ihm regal hinter ihr steht. zahid ignoriert ihre frage.]
zahid: der schlepper sollte mich im lastwagen über die türkische grenze bringen. es saßen noch zwanzig andere leute in dem wagen. es war mitten in der nacht. je näher wir der grenze kamen, desto stiller wurde es im wagen. dabei war es damals noch vergleichsweise leicht, aus syrien raus zu kommen. wir wurden trotzdem geschnappt. mich hat man wochenlang festgehalten. sie sagten, ich sei auf einer demonstration gegen die regierung gewesen. ilse: dat gifft regerungen, gegen de kann man geern mal op de straat gahn. dat harrn wi dormaals villicht ok maken schullt. zahid: ich war auf keiner demonstration. ich bin kein politischer mensch. geglaubt hat mir das natürlich keiner. sie haben mich misshandelt und gefoltert. und irgendwann, haben sie mich einfach auf die straße gesetzt, ohne erklärung. ich bin dann ohne hilfe zu fuß über die grenze. irgendwie hat es geklappt. | زهيد: كان يجب على المهرب وضعي في شاحنة لتأخذني إلى الجهة الاخرى من الحدود التركية. كنا عشرين شخصاً في تلك الشاحنة. كانت منتصف الليل. كلما اقتربنا من الحدود كلما كان الهدوء في الشاحنة أكبر. كان من السهل في تلك الأيام الهرب من سوريا. لكن لسوء الحظ تم القبض علينا في تلك الليلة. وضعت في السجن لأسابيع. قالوا انني كنت في مظاهرةٍ ضد النظام السوري ilse: gegen manche regierungen kann man ruhig mal demonstrieren. das hätten wir damals vielleicht auch machen sollen. زهيد: لم أكن في أية مظاهرة. لا أتابع السياسة. بالطبع لم يصدقني أحد. عذبوني أساؤوا إلي . في يومٍ من الأيام تم الافراج علي. من دون أي إنذار أو توضيح. لقد نجحت في تخطي الحدود من دون أية مساعدة. بطريقة ما نجحت على الهرب |
[zahid trinkt in einem zug seine tasse leer.]
ilse: mien mann weer ut schlesien. egaalweg hett he vun de schneekoppe vertellt, hier in dat platte freesland. to’n lachen, oder? ik heff em kennen lehrt, dor weern wi jüst achtteihn. dat weer nich licht för de flüchtlinge hier in’t dörp to de tiet. utschimpt hett man jem. nüms wull jem hebben. man egentlich kunnen wi, de wi hier tohuus weern, uns gor nich beklagen. ok in de leegsten kriegstieden hebbt wi noch jümmers jichenswo en buer funnen, de wat to eten intuuscht hett. wenn man bedenken deit, wat de lüüd in anner gegenden to lieden harrn. zahid: aber leid lässt sich schwer messen. ist ein vermisster sohn größeres leid als zehn zerstörte häuser? wiegt der zurückgelassene erbschmuck schwerer als zwei tage ohne brot und wasser? ilse: de lüüd meent jümmers, leed kann man an de tranen aftellen. man ik heff mien mann nienich wenen sehn. mi dücht, leed kann man beter aftellen an tweislaan schangsen. mien mann harr na sien flucht nie wedder de schangs, de schneekoppe to sehn. zahid: ich werde hamidiya auch nicht wiedersehen. das dorf gibt es nicht mehr, den laden auch nicht. dafür habe ich die gelegenheit zu leben. ilse: ik verstah se. ik weer de eerst, de ut heidmöhl weglopen wörr, wenn wi noch mal krieg harrn. | ilse: mein mann kam aus schlesien. ständig hat er von der schneekoppe erzählt, hier im flachen friesland. lächerlich, oder? ich habe ihn kennengelernt, da waren wir gerade achtzehn. es war keine leichte zeit für die flüchtlinge hier im dorf. beschimpft hat man sie. keiner wollte sie hier haben. dabei konnten wir einheimischen uns eigentlich nicht beschweren. selbst zu schlimmsten kriegszeiten fand man immer noch irgendeinen bauern, der essen eintauschte. wenn man bedenkt, wie die leute anderswo gelitten haben. زهيد: لا يمكنك قياس العذاب. هل إختفاء إبن أكبر من هدم عشرة بيوت؟ هل يزين الذهب أكثر من يومين من دون خبز أو مياه؟ ilse: die leute denken immer, leid misst man in geweinten tränen. aber ich habe meinen mann kein einziges mal weinen sehen. ich glaube, man misst leid besser in zerstörten gelegenheiten. mein mann hatte nach seiner flucht nie wieder die gelegenheit die schneekoppe zu sehen. زهيد: لن أرى ضيعتي مجدداً أيضاً. ضيعتي ليس لها وجود بعد اليوم. المحل أيضاً. لكن بالمقابل لدي الفرصة لكي أعيش ilse: ich verstehe sie. ich wäre die erste, die heidmühle verlassen würde, wenn es nochmal krieg gäbe. |
[ilse schenkt beiden tee nach. sie legt zahid einen keks auf die untertasse.]
zahid: wohin würden sie gehen? ilse: mien dochter wahnt in bremen. mag ween un ik wörr na bremen fohren. oder mit’t schipp na helgoland. | زهيد: الى أين تريدين الذهاب؟ ilse: meine tochter wohnt in bremen. vielleicht würde ich nach bremen fahren. oder mit dem schiff nach helgoland. |
[zahid lacht.]
zahid: und was ist, wenn auch in bremen und auf helgoland krieg wäre? ilse: nu maalt se man nich den düvel an de wand! zahid: sie haben recht. ich rede unsinn. ich sollte ihnen nicht weiter zur last fallen, ilse. ilse: man se hebbt ja noch gor nich den rest vun de geschicht vertellt! zahid: in istanbul habe ich freunde, die mir geld geliehen haben. über griechenland und den balkan bin ich nach deutschland gekommen. | زهيد: وماذا إذا كان هناك حرب في بريمن وهلغلند أيضاً؟ ilse: nun malen sie mal nicht den teufel an die wand! زهيد: أنت على حق. لم أكن منطقياً في كلامي. لا أريد أن أشكل أية مشكلة لك يا إلزا ilse: aber sie haben doch noch gar nicht den rest der geschichte erzählt! زهيد: لدي أصدقاء في إسطنبول، أعاروني مالاً. من بعد اليونان و البلقان، وصلت إلى ألمانيا |
[ilse schüttet zahids teetasse wieder voll.]
zahid: sie würden eine gute araberin abgeben, ilse. ilse: meent se dat? zahid: wir araber können leere teetassen auch nur schwer ertragen. ilse: ach dat. dat is hier eben so’n olen stremel. oder en dösigen bruuk. zahid: nennen wir es eine gute gelegenheit. | زهيد: لديك الروح العربية ، إلسي ilse: meinen sie? زهيد: نحن كعرب لا نتحمل كاسات الشاي فارغه أيضاً ilse: ach das. bloß eine alte tradition. oder eine unsinnige gewohnheit. زهيد: دعينا نسميها فرصة جيدة |
[vorhang zu.]